Samâ - eine Einführung in die Kunst des Lauschens

karamat.eu - Bericht von der Veranstaltung am Freitag, 08. Mai 2015 in der Schwanenburg Hannover.

Helmut N. Gabel, Pressesprecher von Karamat e.V., begrüßt die Gäste in der Schwanenburg

Das Leben beinhaltet eine Vielfalt an Geräuschen und Klängen, die uns tagtäglich zum Zuhören anregen: das Vogelgezwitscher in den frühen Morgen- oder Abendstunden, Kinder, die auf dem Spielplatz umhertoben, die Stimme von einem vertrauten Menschen. Dieses Hören, wie wir es kennen, findet über die Ohren statt. 

Am Freitag, 08.05.2015 besuchte der Religionswissenschaftler, Meditationslehrer und Mystiker Dr. Seyed Azmayesh die Schwanenburg Hannover und erzählte von einer anderen Art des Zuhörens: dem Lauschen; dem Achten auf den Schlag des physischen Herzens und der Kunst des Samâ. Dr. Azmayesh stammt aus dem Iran, lebt jedoch seit 40 Jahren in Paris.

Begleitet wurde der Abend von lebendigen Rhythmen auf der persischen Rahmentrommel (Daff) sowie Weisheitsgeschichten und Gedichten alter Sufi Meister aus dem Orient durch das Perle Ensemble aus Hannover.

Dr. Matthias Lauterbach, Gesundheitscoach aus Hannover, moderierte den Abend und sprach mit Dr. Azmayesh über die Wirkung mystischer Rhythmen, alter Weisheitsgeschichten und Poesie auf unser Herz und auf unser inneres Gestimmtsein. Der Begriff „Samâ“ bedeutet in der Sprache der Mystik: Wirbeln oder Lauschen.

Während einer Samâ Zeremonie werden subtile Schwingungen durch das Spielen auf Rahmentrommeln (Daffs) erzeugt, die das Herz erfassen. Dadurch schließt sich der lauschende Mensch an die lebenspendenden, schöpferischen Kräfte an.

Im Folgenden sind die Kernpunkte des Vortrags von Dr. Azmayesh zusammengefasst:

Am Anfang war der Klang. Die Sphärenharmonien sind in jedem Partikel der Welt eingeschrieben. Der Ursprung der Rhythmen reicht bis zum Schöpfungsprozess der Menschheit zurück. Laut dem berühmten persischen Dichter Rumi korrespondieren die Rhythmen in der Musik und der Poesie mit den kosmischen Rhythmen. Die Welt wurde wiederum im Einklang mit diesen Rhythmen geschaffen, die sich in die Erinnerung der Menschen einprägten. Adam, der Urvater der Menschheit, lernte, diese Rhythmen anzuwenden, um sich mit seinem Schöpfer (den Ursphären) wieder zu verbinden.

Die Wirkung der Rhythmen ist weitreichend und ihre Schwingungen dringen tief in unser Herz. Mit der Zeit führen die Rhythmen einen Zustand der Ruhe und Ausgeglichenheit herbei. Je öfter wir ihnen lauschen, desto wirksamer werden ihre Effekte und desto einfacher wird es auch, dem eigenen Rhythmus des Herzens zu lauschen.

Doch wie nehmen wir diese Art von Klang auf? Lauschen wir mit unseren Ohren oder findet eine andere Art von Lauschen statt?

Dr. Azmayesh erläutert zwei unterschiedliche Arten von Klang, welcher im Persischen Soud genannt wird.

Zum einen gibt es (1) Safir (pers.), was auch als „Pfeifen“ übersetzt werden kann und dem Zwitschern der Vögel gleicht. Diese Art von Klang entspringt den Lippen und stellt einen äußeren Klang dar.

Daneben gibt es Nafir (pers.), was auch Seufzen bedeutet. Diese Art von Klang gleicht dem einer Flöte. Es ist ein wehmütiger Klang, eine Art von wehmütigem Seufzer, der dem innersten Wesenskern entspringt und wie ein Feuerwerk aufsteigt, sich direkt in das Herz des Gegenübers versenkt und ein Mitfühlen veranlasst.

In der Entstehung von Klang finden verschiedene Prozesse statt. Durch eine Klangquelle werden Vibrationen erzeugt, die durch die Luft schwingen, zu einem Objekt gelangen und von diesem zurückprallen. Dieses Phänomen wird Echo, im Persischen Seda, genannt.

Rumi, ein persischer Gelehrter und Verfasser von zahlreichen mystischen Gedichten aus dem 13. Jahrhundert, bezeichnete das ganze Universum als ein Gebirge, das unser Handeln in der Form von Reaktionen wiederspiegelt. Das heißt, unser Handeln löst eine Reaktion aus und kehrt dadurch wieder zu uns zurück. Wenn wir zum Beispiel vor einem „Berg“ stehen und ihn wertschätzen, so wird uns diese Wertschätzung wieder zurückgespiegelt. Wenn wir jedoch den „Berg“ beschimpfen, so werden uns die Beschimpfungen zurückgespiegelt.

Nun gibt es noch ein weiteres Phänomen, nämlich das der inneren Resonanz. Wenn wir nämlich die Hand auf das Objekt legen, welches die Schwingungen aufnimmt, so spüren wir diese Vibration. Somit bezieht sich Samâ, die Kunst des Lauschens bei den Sufis, auf die Wahrnehmung dieser inneren Vibration.

Wenn die Resonanz eines Klangs das Herz zum Schwingen bringt, geht es darum, dem Herzschlag zu lauschen. Diese Art von Lauschen kann nicht mit den physischen Ohren, sondern nur durch innere Aufmerksamkeit stattfinden. Das heißt, während eines Samâ lauschen wir der Schwingung, die im Herzen entsteht. Es ist ein aktives Lauschen, das sich auf den Klang hinbewegt.

Die Welt wurde im Einklang mit Rhythmen und Klängen geschaffen, welche sich in das tiefe Bewusstsein der Menschen eingenistet haben. Wenn wir nun Rhythmen und Poesie lauschen, wird etwas in unserer Erinnerung freigesetzt.  Wir erinnern uns an unsere himmlische Heimat und empfinden ein Gefühl von Sehnsucht und Geistfülle.

Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen dieser Geistfülle, die von Mystikern als Trunkenheit bezeichnet wird und den Wirkungen der Rhythmen. Das Herbeiführen von Trunkenheit durch Rhythmen ist eine alte mystische Kunst.

Es ist vielleicht auch der Grund, der Rumi zu folgender Aussage inspirierte: der Mensch unterscheidet sich dadurch vom Tier, dass seine Seele durch das Lauschen immer fülliger und reicher wird. Was auch heißt, dass er durch aktives Lauschen, immer stärker wird. 

Zwar nehmen wir eine Vielzahl von Klängen durch unsere Ohren wahr, doch indem wir ganz aktiv dem Klang unseres Herzens lauschen, erinnern wir uns an unseren Ursprung, unsere Heimat und unseren Schöpfungsprozess. Daraus schöpfen wir Kraft und Stärke. 

Dr. Patricia Vöge, Vorsitzende Karamat e.V.

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